Vietnam
„In jener Nacht konntest du Geschichte spüren. Als ich die ersten Panzer in die Stadt einfahren sah, […] und sie giai phong! – Freiheit! – riefen, war das für mich einer der Momente, die Geschichte schreiben. Ich brach in Tränen aus. Nicht nur, weil der Krieg nun aus war, sondern weil ich den Puls der Zeit spürte. Das war ein historischer Moment.“ Tiziano Terzani
Mit dem Fall von Saigon endet 1975 eine der blutigsten Auseinandersetzungen der letzten Jahrzehnte. Die nordvietmanesischen Vietkong siegen mit dem Einzug in die Stadt über den von den USA unterstützen Süden. Das Ende des Vietnamkriegs markiert den Beginn eines holprigen Weges zu einer friedlichen Wiedervereinigung.
Heute, 40 Jahre später, ist das einst kommunistische Hanoi eine quirlige Hauptstadt, in die die kapitalistische Lebensweise Einzug gefunden hat. Die Dächer der Innenstadt sind übersät von hippen Cocktail-Bars, Schwärme voller Motorräder hupen sich durch die gut ausgebauten Straßen und Apple, Adidas und Co. haben ihren Weg in mehrstöckige Shoppingmalls gefunden.
An die kommunistische Vergangenheit erinnern noch zahlreiche Museen und Ausgrabungen, die im Sightseeing-Programm der Stadt ein fester Bestandteil geworden sind. Mir kommen die Kriegsbilder in den Kopf, als im Feierabendverkehr eine Frau zusammengefahren wird und benommen in ihrer eigenen Blutlache liegt. Nur, dass man dieses Bild je nach Schätzungen mit 1,2 bis vier Millionen multiplizieren kann. Mir reicht schon die eine, dass ich etwas zitternd zur Unterkunft zurück fahre und mit dem Motorrad-Fahren in Hanoi abschließe (natürlich nachdem ich sicher gegangen bin, dass sich jemand um die Verletzte kümmert).
Als ich dann spontan mit meiner Mutter und einer kleinen, netten Reisegruppe mitreisen darf, ist es ein Genuss, endlich mal wieder ein bisschen westlichen Luxus schnuppern zu können. Abseits von Ein-Euro-Essen, schlechtem Instant-Kaffee und muffelnden Zimmern. Besonders Pizza und italienischer Rotwein schmecken wieder unverschämt gut.
Die wohl größte Veränderung stellt allerdings meine Befreiung vom Offline-Sein dar. Denn nachdem mein Handy in die Weiten Kambodschas verschwindet, die Kreditkarte vom thailändischen Geldautomaten eingezogen wird und der Laptop plötzlich den Geist aufgibt, stehe ich noch mit genau 1,50€ in der Tasche in Vietnam, als mein Notfallpaket ankommt.
Das neue Handy bringt natürlich wieder etliche Möglichkeiten mit sich. Der Rechner ersetzt das Kopfrechnen, der Wecker das Ausschlafen und Google Maps das Karten-Lesen. Letzteres entpuppt sich als sehr hilfreich, als ich mich mit dem Roller verfahre. Nach dem Vorbild des Buches „Wiedersehen im Café am Rande der Welt“, das ich vor einiger Zeit gelesen habe, nehme ich bei jeder Abbiegung immer die kleinere Straße, bis der Weg schließlich mitten im Nirgendwo endet. „Get lost“ nennt man das in der modernen Instagram-Sprache. Im Gegensatz zur Geschichte im Buch lande ich nicht bei einem Café, sondern mitten an einem etwas seltsamen Tor mit vietmanesischer Aufschrift. Davor steht ein bewaffneter junger Mann Wache.
Er ist scheinbar noch neu hier und so lässt er mich auf das dahinter gelegene Gelände, als ich ihn nach der Bedeutung des Ortes frage. Hinter dem Tor erschließt sich mir auf den ersten Blick nicht, warum dieses Gelände bewacht wird. Ein Volleyballplatz vor zwei gelben Betongebäuden lassen eine Schule vermuten. Als jedoch junge Männer mit Uniform-Hose oberkörperfrei hektisch aus den Gebäuden kommen und laut etwas rufen, ist klar, dass ich hier wohl doch falsch bin. „Military Area!“, „No allowed!“ rufen sie mir in gebrochenem Englisch entgegen. Ich habe sie wohl bei ihrer Mittagspause gestört.
Irgendwie besteht trotzdem gegenseitige Faszination und so bieten sie mir an, mich kurz mit ihnen hinzusetzen. Über Google Übersetzer unterhalten wir uns eine Weile. Als ich dann frage, was sie hier jeden Tag machen, antwortet einer „play.“ Na dann. Die Frage war wohl zu viel Neugier und so nimmt ein Soldat mein Handy und gibt in Google Maps die Route zum nächsten Strand ein. Er drückt es mir wieder in die Hand und legt mir ans Herz, jetzt besser zu gehen, hier sei ich nicht „allowed“. Trotzdem noch freundlich verabschieden sich die gut zehn Soldaten bei mir per Handschlag.
Abgesehen von dieser etwas unerwarteten Begegnung, ist es eine angenehme Abwechslung, die Planung dem Reiseleiter überlassen zu können. Nach Hanoi geht es in die berühmte Halong-Bucht, die ich bisher nur vom Sollner Bahnhof kannte, wo unser Lieblings-Vietmanese „Halong Bay“ seine Frühlingsrollen verkauft. Obwohl wir bei Weitem nicht das einzige Boot sind, das in See sticht, ist die Fahrt ein schönes Erlebnis. Bei gutem Essen und Wein geht es durch die malerische Hügellandschaft der Bucht. Nur der schwimmende Müll bei einer kurzen Kanufahrt deutet mal wieder an, welche Nachteile der übermäßige Boot-Tourismus mit sich bringt.
Auf dem Weg in den Norden des Landes schnuppern wir etwas Eisenbahnromantik. Mit Kerzenlaterne werden wir nachts am Bahnhof empfangen und lassen uns ab da an einige Stunden durch den Schlaf schaukeln. Auch in Sa Pa im Norden haben wir Glück und die sonst überfüllte Touristen-Stadt ist jetzt in der Nebensaison angenehm ruhig (bis auf die vielen Baustellen). Dadurch stimmt allerdings das Verkäufer-Käufer Verhältnis nicht mehr so wirklich. Und so sind wir bei einer Wanderung durch die Reistreppen im Gebirge statt sieben Personen plötzlich 18, als die Verkäuferinnen der Souvenirs nur uns haben, an die sie ihre Souvenirs verkaufen können.
Mit dem Flieger reisen wir weiter nach Hue. Von dort miete ich mir ein Motorrad, um über den Wolkenpass nach Da Nang zu kommen. Ein Zwischenstopp bei den Elephant Springs eröffnet einen grausamen Blick auf hunderte chinesische Touristen in organgenen Schwimmwesten zwischen Wasser-Hütten, aus denen laute Musik dröhnt. Der Pass ist dann aber wieder wunderschön. So schön, dass das Motorrad bei einem Fotostopp vor lauter Staunen gar nicht mehr weg will. Das lässt es mich spüren, indem es einfach nicht mehr anspringt. Also die bisherige Strecke wieder runterrollen und reparieren lassen. Etwas improvisiert kann es dann weitergehen: Um den Motor zu starten, müssen zwei am Lenkrad befestigte Kabel zusammengeknotet werden. Zum Ausschalten werden sie wieder auseinandergezogen. Klingt abenteuerlich, funktioniert aber.
Vietnam war eine kurze, aber schöne und intensive Erfahrung, die stets begleitet war mit vorzüglichem Essen und gutem Wein. Zwei Tage nach dem Wolkenpass ist die Zeit hier auch schon wieder vorbei. Ich frühstücke in Vietnam, esse in Thailand zu Mittag und in Myanmar gibt es dann Abendessen. Jetzt beginnt wieder ein neuer Abschnitt der Reise.

