Spaziergang durch die Weltpolitik
Droht Frankreich gerade ein ähnliches Schicksal wie Ankor? Ist die europäische Zivilisation genau so dem Untergang geweiht, wie schon im 15. Jahrhundert das berühmte Königreich der Khmer? Ist der Kollaps unvermeidbar?
Die Schlagzeilen der letzten Tage vermitteln genau dieses Gefühl. Ich wundere mich. Ist doch mehr passiert, als nur der Brand in einer Kirche? Sind Menschen gestorben? Die Bilder von Paris lassen angesichts der trauernden Menschenmassen vor der Kathedrale von Notre-Dame genau das erwarten. Doch auch weitere Recherchen ergeben nichts. Auf den ersten Blick würde ich jene Meldung erst einmal von ihrem Interessantheits-Grad mit Schlagzeilen wie „So bemalen Sie Ihre Ostereier“ (FAZ) oder „Die 7 leckersten Schokohasen“ (ZEIT) gleichsetzen. Der Fülle an Berichterstattung nach zu deuten muss da allerdings mehr dran sein.
Der Tagesspiegel spricht beim Brand in der Kirche sogar von einem „Spiegelbild der Zivilisation“. Klar, eine Symbolkraft hat die Kathedrale allemal. Und es ist nicht schön, mitansehen zu müssen, wie Jahrhunderte alte Reliquien von den Flammen bedroht werden. Aber der Vergleich des Spiegelbildes sagt ja gerade, dass nicht nur das Symbol, sondern auch Frankreich, Europa und der Glaube selbst in Flammen stehen. Ausgelöst durch ein Gebäude, das Schäden erleidet?
Auf der Welt fangen plötzlich die Gehirne an zu rattern. Freudige AFD-Abgeordnete – bekanntlich Experten in kriminologischer Pyrotechnik – wissen sofort, was los ist: Muslime hätten den Brand gelegt, das ist doch ganz klar. Respekt an der Stelle für deren empirische und wissenschaftliche Meinungsbildung. Auch Donald Trump – weltweit anerkannter Experte für Löschtechnik – hilft, wo er nur kann: Über Twitter gibt er der Feuerwehr Tipps und legt ihnen ans Herz, doch ein Löschflugzeug zu benutzen. Gut, dass der französische Zivilschutz schnell reagiert und dem Löschexperten erklärt, dass diese Methode das Gebäude zum Einsturz bringen würde.
Man kann nur hoffen, dass der amerikanische Präsident sich besser informiert hat, als er vor ein paar Tagen das zweite Veto seiner Amtszeit eingelegt hat. Gegen den Willen des Kongresses unterstützt er weiterhin Saudi-Arabien im Jemen, wo die Regierung mit einer von den Saudis geführten Koalition einen Krieg gegen die Huthi-Rebellen führt. Die Menschen in der Region bräuchten angesichts der schlimmsten humanitären Krise der Welt dringend Hilfe, anstatt immer mehr Bomben auf Krankenhäuser, Schulen und zivile Häuser. Aber er wird sich sicher etwas bei seinem Veto gedacht haben. Besinnliches Nachdenken ist ja bekanntlich eine seiner größten Stärken.
Trotzdem soll es immer noch Leute geben, welche das Gegenteil behaupten. Die heimliche Hoffnung jener Menschen aus aller Welt, die Untersuchungen zur Russland-Affäre würden diesen Mann zu Fall bringen, sind nun geplatzt. Der Mueller-Bericht beinhaltet zwar konkrete Fakten über Lügen und schmutzige Wahlkampf-Mittel. Aber er kann Absprachen mit Russland nicht explizit nachweisen. In normalen Zeiten würde ein amtierender Präsident nach den im Bericht enthaltenen Enthüllungen trotzdem sofort zurücktreten. So wie es nun in Mali geschehen ist, nachdem die Sicherheitslage sich verschlechtert und Massenproteste gegen den Ministerpräsidenten Soumeylou Boubèye Maiga ausgelöst hat. Aber die USA erleben gerade keine normalen Zeiten. Es ist Ausnahmezustand im Weißen Haus.
Bei genauerer Hinsicht existiert das Problem mit unüberlegter Politik allerdings nicht nur auf der anderen Seite des Atlantik. Auch Europa ist daran erkrankt. Der neueste Patient: Finnland. Einst Vorzeigeland mit den glücklichsten Menschen, dem besten Bildungssystem und den modernsten Pädagogen, lässt das Wahlergebnis der Parlamentswahl vom 14.04. stutzen. Nur 0,2 Prozent nach den siegenden Sozialdemokrat*innen folgt die rechtspopulistische Partei „Die Finnen“. Sie fordern unter anderem eine Verschärfung des Asylrechts, zeigen sich EU-skeptisch und wollen das „Establishment“ stürzen. Kommt mir das nicht bekannt vor?
Da die vorangegangene aktuelle Tagespolitik für einen Teil der Bevölkerung sehr trocken erscheinen mag, kommt die Ankündigung der Post zur Preiserhöhung gerade Recht. So ein Glück. Dann haben die Stammtische Deutschlands wenigstens auch ein Thema, über das sie sich aufregen können. Die Spezies des „Stammtisch-Grantlers“ empfindet Freude daran, nach dem ein oder anderen alkoholischen Wohlgenuss unkontrolliert Nichtigkeiten des Lebens zu einem hochbrisanten und beschimpfenswerten Thema zu erklären und eine übermäßig ausgeprägte Wut abzulassen. Beliebte Themen sind dabei die Verspätungen von öffentlichen Verkehrsmitteln, Nachteile des Fortschritts oder eben genannte Preiserhöhungen. Geschickt umgehen sie die eigentlich wichtigen gesellschaftlichen Themen des 21. Jahrhunderts, um Gegenmeinungen, die ihr Weltbild gefährden könnten, präventiv zu unterbinden. Sobald es ernst wird und sie aufgrund ihrer Meinung zu öffentlichen Engagement aufgefordert werden, finden sie stets Gründe, warum sie lieber vor ihrem Hopfentee sitzen bleiben sollten.
Gut, dass es da noch „die Jugend“ gibt, die gar nicht so unpolitisch ist, wie ihr oft angedichtet wird. Während der serbische Präsident seine Bevölkerung zwingt, für ihn auf die Straße zu gehen, protestieren Jugendliche aus aller Welt aktuell sogar aus freiem Willen (für den Serben unvorstellbar!). Sie sind das leere Gerede satt und begreifen das Ausmaß der vom Menschen verursachten Zerstörung. Die Protestbewegung „Fridays for Future“ schafft es vor kurzem sogar bis zum Papst. Dieser spricht ihnen gut zu und findet lobende Worte. Obwohl eine seiner Kirchen gerade gebrannt hat, kann er noch an weltlich-wichtige Dinge denken.
Und ihm sollte bewusst sein, dass es so nicht weitergehen kann. Zwar weiß er, dass intern auch dringend ein gewaltiger Wandel nötig wäre. Aber ihm wird auch nicht entgangen sein, dass Gläubige aus aller Welt bereits an den Folgen der Eingriffe in die Natur leiden.
Ein Besuch in Angkor könnte ihm eine Warnung sein: Die Auseinandersetzung der Buddhisten und Hindus begünstigte zwar den Untergang des Reiches der Khmer. Entscheidend für das Aussterben der Zivilisation war allerdings vor allem die übermäßige Ausbeutung der natürlichen Ressourcen zusammen mit dem dadurch entstandenen Klimawandel. Die Khmer stolperten am Ende über ihren eigenen Größenwahn. Ein Muster, welches immer wieder in der Geschichte auftaucht. Mächtige Völker führen ihren eigenen Niedergang herbei, weil sie die Zeichen der Zeit nicht erkennen.
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Nächstes Mal berichte ich auch wieder über meine Reiseerfahrungen. Bei einem Blick in die Galerie bekommt man ein paar Eindrücke. Jetzt aber erst einmal frohe Ostern aus Angkor!